Neofolkfreunde

31.05.2014

Die „Priesterin von Midgard“ Ein Gespräch mit der Musikerin Andrea Haugen über Heidentum als Lebensart(german)

Hallo nochmal,

da Neofolk das Heidentum oft thematisiert, möchte ich noch ein Interview reinstellen, entliehen aus dem Ikonenmagazin.Ich hoffe das Ikonnemagazin hat nichts dagegen, dass ich mich oft bediene, allerdings gebe ich auch immer die Quellen an und ich möchte gerne, dass der Inhalt an möglichst viele Leute weitergegeben wird.Liebes Ikonenmagazin, wenn das nicht in Ordnung ist, dann meldet euch bei mir, ansonsten schreibe ich euch demnächst mal an. :)

"See, your history a book of blood / Horror designed by human brains, I can’t forget! / Where are the tortured souls now, who can justify their pain?! / Is this humanity, than this is no place for me [...] Your world in my eyes / At the end / Bloody tears blind my sight...“"



 Diese melancholischen wie auch anklagenden Worte stammen von der Musikerin und praktizierenden Heidin Andrea Haugen. Von einer spirituellen Suche nach ihrer kulturellen Identität und ihren mythologischen Wurzeln getrieben, führte sie ihr Weg früh nach London, wo sie als Tierarzthelferin arbeitete und langsam Kontakte zur okkulten Szene aufbaute. Die Schriftsteller der Schwarzen Romantik wurden ebenso zu einem starken Einfluss auf ihr Denken wie auch die Philosophie Nietzsches und Marquis de Sades. Im Umfeld der englischen Gothic- und Neofolkszene lernte sie den norwegischen Musiker Tomas Haugen kennen, mit dem sie nach Norwegen zog und sich fortan dem Studium der nordischen Mythologie widmete. Mit der Geburt der gemeinsamen Tochter Alva wurde es ihr möglich, den Traum der heidnischen Kerngemeinschaft zu verwirklichen. Mit ihrem folkloristischen und rituellen Musikprojekt Hagalaz Runedance, das bislang vier CDs herausbrachte, versucht sie, einen intensiven Einblick in ihre Weltsicht zu ermöglichen. Und mit dem auch in Deutschland erschienenen Buch Die alten Feuer von Midgard (Berlin 2001) schildert sie ihre ganz persönlichen Ansichten, was es bedeuten kann, in der gegenwärtigen Gesellschaft als Heide zu leben.

 Andrea, Du lebst mit Deiner Familie als Heidin in Norwegen. Welche Umstände ermöglichten es, diesen Traum wahr werden zu lassen: Heidentum als Lebensart zu verwirklichen?

 Als Heide fühlt man sich mit der Mutter Natur verbunden. Man ist sich seiner biologischen Instinkte bewusst, was ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr ist, da die Dogmen des Christentums unsere Instinkte dämonisiert haben, und unsere Gesellschaft erst wieder lernen muss, wie man in Einklang mit der Natur denkt. Spirituell bedeutet das, durch die Mythen und alten Lebensweisheiten sich selbst zu erkennen, und die Natur um sich herum zu verstehen. Es bedarf also keiner ‘besonderen Umstände‘, um ein Heide zu sein. Die ‘alte Tradition‘ ist eine offizielle Religion hier in Norwegen, und auch viele 'gewöhnliche' Leute haben ein enges Verhältnis zu ihrer Kultur.
Die germanischen Heiden hatten Respekt für Mutter Erde und eine Sensibilität für ihre Geheimnisse. Sie glaubten an das Gleichgewicht der Kräfte, eine Harmonie zwischen Göttern und Göttinnen, zwischen männlich und weiblich, Licht und Finsternis, positiv und negativ. Wir brauchen all jene Elemente, die um uns und in uns existieren. Sie wußten, dass die Natur ein ewiger Kreislauf ist. Der alte Glaube kam von ihrem Wissen, und die Legenden spiegeln nur die Wirklichkeit des Lebens in Midgard, wie sie die Erde nannten. Heidnische Traditionen haben grundsätzlich keine beschränkenden Dogmen, die dem Individuum vorschreiben, wie es zu denken hat. Spiritualität, oder Religion, war einst der Weg, den Geist des Menschen zu öffnen und zu erweitern und die eigenen gegebenen Möglichkeiten zu verbessern. Nicht den Geist zu verschließen, zu blenden, zu ängstigen und die gegebenen Möglichkeiten zu unterdrücken, wie wir das im Rahmen der dominierenden patriarchalen dogmatischen Religionen beobachten.

 Was erwiderst Du Menschen, die Deine Weltanschauung und Lebensart als Eskapismus, als Fluchtbewegung aus den Widrigkeiten der postmodernen Industriegesellschaft, kritisieren?

 
Die „Priesterin von Midgard“
Ein Gespräch mit der Musikerin Andrea Haugen über Heidentum als Lebensart
„See, your history a book of blood / Horror designed by human brains, I can’t forget! / Where are the tortured souls now, who can justify their pain?! / Is this humanity, than this is no place for me [...] Your world in my eyes / At the end / Bloody tears blind my sight...“
Diese melancholischen wie auch anklagenden Worte stammen von der Musikerin und praktizierenden Heidin Andrea Haugen. Von einer spirituellen Suche nach ihrer kulturellen Identität und ihren mythologischen Wurzeln getrieben, führte sie ihr Weg früh nach London, wo sie als Tierarzthelferin arbeitete und langsam Kontakte zur okkulten Szene aufbaute. Die Schriftsteller der Schwarzen Romantik wurden ebenso zu einem starken Einfluss auf ihr Denken wie auch die Philosophie Nietzsches und Marquis de Sades. Im Umfeld der englischen Gothic- und Neofolkszene lernte sie den norwegischen Musiker Tomas Haugen kennen, mit dem sie nach Norwegen zog und sich fortan dem Studium der nordischen Mythologie widmete. Mit der Geburt der gemeinsamen Tochter Alva wurde es ihr möglich, den Traum der heidnischen Kerngemeinschaft zu verwirklichen. Mit ihrem folkloristischen und rituellen Musikprojekt Hagalaz Runedance, das bislang vier CDs herausbrachte, versucht sie, einen intensiven Einblick in ihre Weltsicht zu ermöglichen. Und mit dem auch in Deutschland erschienenen Buch Die alten Feuer von Midgard (Berlin 2001) schildert sie ihre ganz persönlichen Ansichten, was es bedeuten kann, in der gegenwärtigen Gesellschaft als Heide zu leben.

Andrea, Du lebst mit Deiner Familie als Heidin in Norwegen. Welche Umstände ermöglichten es, diesen Traum wahr werden zu lassen: Heidentum als Lebensart zu verwirklichen?
Als Heide fühlt man sich mit der Mutter Natur verbunden. Man ist sich seiner biologischen Instinkte bewusst, was ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr ist, da die Dogmen des Christentums unsere Instinkte dämonisiert haben, und unsere Gesellschaft erst wieder lernen muss, wie man in Einklang mit der Natur denkt. Spirituell bedeutet das, durch die Mythen und alten Lebensweisheiten sich selbst zu erkennen, und die Natur um sich herum zu verstehen. Es bedarf also keiner ‘besonderen Umstände‘, um ein Heide zu sein. Die ‘alte Tradition‘ ist eine offizielle Religion hier in Norwegen, und auch viele 'gewöhnliche' Leute haben ein enges Verhältnis zu ihrer Kultur.
Die germanischen Heiden hatten Respekt für Mutter Erde und eine Sensibilität für ihre Geheimnisse. Sie glaubten an das Gleichgewicht der Kräfte, eine Harmonie zwischen Göttern und Göttinnen, zwischen männlich und weiblich, Licht und Finsternis, positiv und negativ. Wir brauchen all jene Elemente, die um uns und in uns existieren. Sie wußten, dass die Natur ein ewiger Kreislauf ist. Der alte Glaube kam von ihrem Wissen, und die Legenden spiegeln nur die Wirklichkeit des Lebens in Midgard, wie sie die Erde nannten. Heidnische Traditionen haben grundsätzlich keine beschränkenden Dogmen, die dem Individuum vorschreiben, wie es zu denken hat. Spiritualität, oder Religion, war einst der Weg, den Geist des Menschen zu öffnen und zu erweitern und die eigenen gegebenen Möglichkeiten zu verbessern. Nicht den Geist zu verschließen, zu blenden, zu ängstigen und die gegebenen Möglichkeiten zu unterdrücken, wie wir das im Rahmen der dominierenden patriarchalen dogmatischen Religionen beobachten.
Was erwiderst Du Menschen, die Deine Weltanschauung und Lebensart als Eskapismus, als Fluchtbewegung aus den Widrigkeiten der postmodernen Industriegesellschaft, kritisieren?
Ich bekomme eigentlich solche Kritiken nicht, allgemein werden meine Meinungen respektiert und als ziemlich bodenständig angesehen. Wenn ich immer wieder betone, heidnisch zu sein, bedeutet das nicht, alles stehen und liegen zu lassen und in Strohhütten ohne Strom zu ziehen. Es bedeutet, sich der Natur bewusst zu werden, seiner eigenen, inneren Natur bewusst zu werden und eine persönliche Balance zu finden. Die alten Religionen drehen sich um das Verständnis der Natur und der menschlichen Natur. Die heidnischen Werte drehen sich darum, das Leben auf die angemessenste Weise zu leben. Daher würde ich sagen, dass die alten Weisheiten, auf die ich mich beziehe, sehr realistisch sind. Man verhält sich zu der Natur und man verhält sich zu den Mitmenschen, ohne die Angst vor einem Gott, der aufpasst und straft, wenn man seinen Gesetzen nicht gehorcht – wie es im Christentum der Fall ist. All solche dogmatischen Religionen sind wirklich gefährlich weltfern, wenn man sie fanatisch ausübt. Als Heide ist man dagegen selbst für sein Leben verantwortlich, lebt das Leben zu seinem Besten und hat einen offenen Sinn für die Mystik und Magie der Natur. Auf der anderen Seite würde ich natürlich zugeben, dass ich unser alltägliches Leben für furchtbar geistlos und 'unmagisch' halte. Insofern kann meine Beschäftigung teilweise schon als der Versuch begriffen werden, in eine mystischere Welt zu entkommen.
Über die germanische Welt und Religion ist nur sehr wenig überliefert. Viele Fakten lassen sich nur aus erheblich späteren Quellen abstrahieren. Auch die Bücher von Edred Thorsson, auf die Du Dich u.a. in Deinem Buch beziehst, basieren eigentlich auf Runenkunde des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ist nicht die aktuelle Vision vom Germanentum ein gegenmodernes Konstrukt?
Vieles von der alten Religion hat überlebt, das man in unseren heutigen Traditionen, Bräuchen, Geschichten, Sagen, Werte, Ortsnamen noch entdecken kann. Viel hat sich gewandelt, doch die menschliche Natur hat sich nicht verändert. Viele Erkenntnisse über Runenkunde und Rituale sind modern, ja. Da unsere Vorfahren nichts niedergeschrieben haben, ist wenig aus originären Quellen überliefert. Doch man muss bedenken, dass die heidnische Tradition eine lebende Tradition ist. Sie bewegt sich mit uns und wird ständig ergänzt. Unsere Vorfahren haben ihre eigenen Rituale ausgearbeitet, und wir heute müssen die magischen Symbole neu interpretieren und unsere eigenen Rituale gestalten. So können wir den alten Geist weiterführen. 

 Heidentum, und speziell dessen nordische Ausrichtung, stößt vielfach auf massive Kritik aus politischer Perspektive. In Deinem Buch gehst Du selbst darauf ein. Denkst Du, das konsequente Freidenkertum, das dem nordischen Heidentum innewohnt, ist überhaupt anschlussfähig für eine politische Ausrichtung?

 Einige unserer norwegischen Heiden sind politisch aktiv in den linken und grünen Parteien. Spiritualität und Politik sollten jedoch unabhängig von einander sein. Der nordische Asatrù-Glaube ist ein ethnischer Glaube und wie alle anderen Naturreligionen sollte er auch als solche anerkannt werden. Wir sollten unsere alten Symbole zeigen, wir haben das Recht dazu, und wenn jemand negativ darauf reagiert, erkläre ich, dass ich mich ebenso vom christlichen Kreuz oder ähnlichen Symbolen, die von tyrannischen Regimen verwendet wurden, provoziert fühle. Manchmal vermute ich, dass der eigentliche Grund dafür, warum die Heiden als „Nazis“ diskriminiert werden, der ist, dass sich die Gesellschaft von unserer Denkweise und unseren Bemühungen um individuelle Freiheit bedroht fühlt.

 Einige Deiner Texte sind sehr martialisch, speziell in der massiven Ablehnung der christlichen Kirche („Fight the men with cross that raped our souls...“). Welche Rolle spielt in Deiner Kunst der Archetyp des "Kriegers"?


Ich bin dem Image des Kriegers, besonders der Kriegerin oder Jägerin sehr angetan. Ich bin auch in einer Wikinger-Re-enactment-Gruppe; nicht, weil ich für die Jagd oder den Krieg bin, sondern weil ein Krieger im mythologischem Sinne ein starkes Individuum symbolisiert der/die für sein/ihr Recht kämpft, sich durchsetzt und andere verteidigt. In meinem Leben musste ich oft kämpfen, mich verteidigen; kämpfen, um an mein Ziel zu kommen. Und natürlich kämpfe ich für eine Ideologie. Auch würde ich nicht vor physischem Kampf zurückschrecken, um meine Tochter Alva zu verteidigen. Doch dies ist ein natürlicher Instinkt, den alle haben sollten.
Vor einigen Jahren noch warst Du sehr befasst mit einer Weltsicht, die man grob als ‘satanistisch‘ bezeichnen könnte, wobei Du selbst betonst, dass es dabei darum gehe, in ‘Satan‘ ein philosophisches, ambivalentes Prinzip zu entdecken, das ein Leben in Balance ermöglichen kann. Ähnliche Ansätze finden sich auch in deinem Buch Die alten Feuer von Migard. Siehst Du einen wesentlichen Unterschied zwischen Deinem Satanismus von einst und dem nordischen Schamanismus?
Wie ich in meinem Buch erwähne, ist die Figur des Satans eigentlich eine positive Figur. Er symbolisiert die natürlichen Instinkte und das freie Denken des Menschen. Er ist ein Rebell, der sich dem faschistischen Regime des ‘Einzigen Gottes‘ widersetzt. Im Christentum gilt die Haltung als ketzerisch oder „böse“. Auch ist Satan eine dämonisierte christliche Version der heidnischen Wald- und Naturgötter. Deswegen mag ich diese Figur. Sogenannte 'moderne Satanisten' gehen gegen diese christliche Dämonisierung an. Sie sind sich ihren natürlichen Instinkte bewusst und haben die gleiche Lebensauffassung wie Heiden, das Leben voll auszuleben, die sogenannten dunklen Aspekte des Lebens zu erforschen und damit umzugehen anstelle es zu verneinen. Dennoch bin ich nicht so von dem Namen „Satanismus“ begeistert, da er ein Teil des Christentums ist und somit die christliche Ideologie am Leben hält. Ich halte es am besten, das Christentum ganz hinter sich zu lassen. 

 C.G. Jung schrieb ja: „Wenn die Menschen aber dazu erzogen werden, die Schattenseite ihrer eigenen Natur zu sehen, so ist zu hoffen, dass sie auf diesem Wege auch ihre Mitmenschen besser verstehen und lieben lernen.“ -– Würdest Du Deinen eigenen Ansatz eines nichtpatriarchalischen Glaubenssystems als feministisch bezeichnen? 

 Das Weibliche spielte eine große Rolle in den heidnischen Kulturen und war wohl sehr anerkannt. Das Unterbewusstsein, das Ungesehene, das Mystische und Magische wurden als weiblich angesehen. Die Weisheit selbst ist in fast allen Mythen weiblich. Die erste Gottform war die Mutter, die Göttin, die das Leben gibt und die das Leben nimmt. Das individuelle Schicksal der Menschen und auch der Götter, so glaubte man, sei von einer weiblichen Kraft bestimmt. Doch man kann in den Mythen ganz eindeutig erkennen, dass das Weibliche und das Männliche miteinander harmonieren und sich ergänzen. Das heißt, beider Werte sind anerkannt und geschätzt. Durch die Mythen kann jeder Mann und jede Frau sich selbst erkennen, und sich mit den Göttern und Göttinnen identifizieren. 

 Die Hinwendung zu weitgehend akustisch erzeugter Musik, wie sie auch Hagalaz Runedance präsentiert, wirkt fast wie ein reaktionärer Impuls angesichts der umfassenden Technifizierung populärer Musik. Wie ist Dein Verhältnis zu aktueller Popmusik und wie würdest Du die Position von ritueller und neofolkloristischer Musik in der internationalen Musikszene verorten?


Für mich sind die akustischen Folk- und Mittelalter-Instrumente (Akustikgitarre, Drehleier etc.), die ich benutze, sehr wichtig. Ich liebe den Klang von alten Instrumenten und schaffe so eine Verbindung zur Vergangenheit. Instrumente wie die Lyre werde schon in den Mythen erwähnt. Meine Musik ist eine Reise zwischen Welten, alten und neuen, daher benutze ich auch moderne Instrumente. Ich selbst würde meine Musik als 'progressiven Folk' bezeichnen. Heidentum und Musik bieten für mich dasselbe: spirituelle Freiheit und magische Kreativität.
Ist ein heidnische Lebensart mit fortschreitender kultureller und wirtschaftlicher Globalisierung vereinbar?
Ich würde sogar sagen, dass es mehr und mehr notwendig wird, sich an seiner Wurzeln zu erinnern, umweltbezogener zu denken und mehr ökologisch verträgliche Mittel einzusetzen, um unsere Erde wieder in Balance zu bringen.

 Zum Abschluss: Würdest Du Dir wünschen, dass Du mit Deinem künstlerischen Werk Menschen beeinflusst, und dass die Akzeptanz nordischer Spiritualität sich weiter verbreitet?

 
Die „Priesterin von Midgard“
Ein Gespräch mit der Musikerin Andrea Haugen über Heidentum als Lebensart
„See, your history a book of blood / Horror designed by human brains, I can’t forget! / Where are the tortured souls now, who can justify their pain?! / Is this humanity, than this is no place for me [...] Your world in my eyes / At the end / Bloody tears blind my sight...“
Diese melancholischen wie auch anklagenden Worte stammen von der Musikerin und praktizierenden Heidin Andrea Haugen. Von einer spirituellen Suche nach ihrer kulturellen Identität und ihren mythologischen Wurzeln getrieben, führte sie ihr Weg früh nach London, wo sie als Tierarzthelferin arbeitete und langsam Kontakte zur okkulten Szene aufbaute. Die Schriftsteller der Schwarzen Romantik wurden ebenso zu einem starken Einfluss auf ihr Denken wie auch die Philosophie Nietzsches und Marquis de Sades. Im Umfeld der englischen Gothic- und Neofolkszene lernte sie den norwegischen Musiker Tomas Haugen kennen, mit dem sie nach Norwegen zog und sich fortan dem Studium der nordischen Mythologie widmete. Mit der Geburt der gemeinsamen Tochter Alva wurde es ihr möglich, den Traum der heidnischen Kerngemeinschaft zu verwirklichen. Mit ihrem folkloristischen und rituellen Musikprojekt Hagalaz Runedance, das bislang vier CDs herausbrachte, versucht sie, einen intensiven Einblick in ihre Weltsicht zu ermöglichen. Und mit dem auch in Deutschland erschienenen Buch Die alten Feuer von Midgard (Berlin 2001) schildert sie ihre ganz persönlichen Ansichten, was es bedeuten kann, in der gegenwärtigen Gesellschaft als Heide zu leben.

Andrea, Du lebst mit Deiner Familie als Heidin in Norwegen. Welche Umstände ermöglichten es, diesen Traum wahr werden zu lassen: Heidentum als Lebensart zu verwirklichen?
Als Heide fühlt man sich mit der Mutter Natur verbunden. Man ist sich seiner biologischen Instinkte bewusst, was ja leider keine Selbstverständlichkeit mehr ist, da die Dogmen des Christentums unsere Instinkte dämonisiert haben, und unsere Gesellschaft erst wieder lernen muss, wie man in Einklang mit der Natur denkt. Spirituell bedeutet das, durch die Mythen und alten Lebensweisheiten sich selbst zu erkennen, und die Natur um sich herum zu verstehen. Es bedarf also keiner ‘besonderen Umstände‘, um ein Heide zu sein. Die ‘alte Tradition‘ ist eine offizielle Religion hier in Norwegen, und auch viele 'gewöhnliche' Leute haben ein enges Verhältnis zu ihrer Kultur.
Die germanischen Heiden hatten Respekt für Mutter Erde und eine Sensibilität für ihre Geheimnisse. Sie glaubten an das Gleichgewicht der Kräfte, eine Harmonie zwischen Göttern und Göttinnen, zwischen männlich und weiblich, Licht und Finsternis, positiv und negativ. Wir brauchen all jene Elemente, die um uns und in uns existieren. Sie wußten, dass die Natur ein ewiger Kreislauf ist. Der alte Glaube kam von ihrem Wissen, und die Legenden spiegeln nur die Wirklichkeit des Lebens in Midgard, wie sie die Erde nannten. Heidnische Traditionen haben grundsätzlich keine beschränkenden Dogmen, die dem Individuum vorschreiben, wie es zu denken hat. Spiritualität, oder Religion, war einst der Weg, den Geist des Menschen zu öffnen und zu erweitern und die eigenen gegebenen Möglichkeiten zu verbessern. Nicht den Geist zu verschließen, zu blenden, zu ängstigen und die gegebenen Möglichkeiten zu unterdrücken, wie wir das im Rahmen der dominierenden patriarchalen dogmatischen Religionen beobachten.
Was erwiderst Du Menschen, die Deine Weltanschauung und Lebensart als Eskapismus, als Fluchtbewegung aus den Widrigkeiten der postmodernen Industriegesellschaft, kritisieren?
Ich bekomme eigentlich solche Kritiken nicht, allgemein werden meine Meinungen respektiert und als ziemlich bodenständig angesehen. Wenn ich immer wieder betone, heidnisch zu sein, bedeutet das nicht, alles stehen und liegen zu lassen und in Strohhütten ohne Strom zu ziehen. Es bedeutet, sich der Natur bewusst zu werden, seiner eigenen, inneren Natur bewusst zu werden und eine persönliche Balance zu finden. Die alten Religionen drehen sich um das Verständnis der Natur und der menschlichen Natur. Die heidnischen Werte drehen sich darum, das Leben auf die angemessenste Weise zu leben. Daher würde ich sagen, dass die alten Weisheiten, auf die ich mich beziehe, sehr realistisch sind. Man verhält sich zu der Natur und man verhält sich zu den Mitmenschen, ohne die Angst vor einem Gott, der aufpasst und straft, wenn man seinen Gesetzen nicht gehorcht – wie es im Christentum der Fall ist. All solche dogmatischen Religionen sind wirklich gefährlich weltfern, wenn man sie fanatisch ausübt. Als Heide ist man dagegen selbst für sein Leben verantwortlich, lebt das Leben zu seinem Besten und hat einen offenen Sinn für die Mystik und Magie der Natur. Auf der anderen Seite würde ich natürlich zugeben, dass ich unser alltägliches Leben für furchtbar geistlos und 'unmagisch' halte. Insofern kann meine Beschäftigung teilweise schon als der Versuch begriffen werden, in eine mystischere Welt zu entkommen.
Über die germanische Welt und Religion ist nur sehr wenig überliefert. Viele Fakten lassen sich nur aus erheblich späteren Quellen abstrahieren. Auch die Bücher von Edred Thorsson, auf die Du Dich u.a. in Deinem Buch beziehst, basieren eigentlich auf Runenkunde des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Ist nicht die aktuelle Vision vom Germanentum ein gegenmodernes Konstrukt?
Vieles von der alten Religion hat überlebt, das man in unseren heutigen Traditionen, Bräuchen, Geschichten, Sagen, Werte, Ortsnamen noch entdecken kann. Viel hat sich gewandelt, doch die menschliche Natur hat sich nicht verändert. Viele Erkenntnisse über Runenkunde und Rituale sind modern, ja. Da unsere Vorfahren nichts niedergeschrieben haben, ist wenig aus originären Quellen überliefert. Doch man muss bedenken, dass die heidnische Tradition eine lebende Tradition ist. Sie bewegt sich mit uns und wird ständig ergänzt. Unsere Vorfahren haben ihre eigenen Rituale ausgearbeitet, und wir heute müssen die magischen Symbole neu interpretieren und unsere eigenen Rituale gestalten. So können wir den alten Geist weiterführen.
Heidentum, und speziell dessen nordische Ausrichtung, stößt vielfach auf massive Kritik aus politischer Perspektive. In Deinem Buch gehst Du selbst darauf ein. Denkst Du, das konsequente Freidenkertum, das dem nordischen Heidentum innewohnt, ist überhaupt anschlussfähig für eine politische Ausrichtung?
Einige unserer norwegischen Heiden sind politisch aktiv in den linken und grünen Parteien. Spiritualität und Politik sollten jedoch unabhängig von einander sein. Der nordische Asatrù-Glaube ist ein ethnischer Glaube und wie alle anderen Naturreligionen sollte er auch als solche anerkannt werden. Wir sollten unsere alten Symbole zeigen, wir haben das Recht dazu, und wenn jemand negativ darauf reagiert, erkläre ich, dass ich mich ebenso vom christlichen Kreuz oder ähnlichen Symbolen, die von tyrannischen Regimen verwendet wurden, provoziert fühle. Manchmal vermute ich, dass der eigentliche Grund dafür, warum die Heiden als „Nazis“ diskriminiert werden, der ist, dass sich die Gesellschaft von unserer Denkweise und unseren Bemühungen um individuelle Freiheit bedroht fühlt.
Einige Deiner Texte sind sehr martialisch, speziell in der massiven Ablehnung der christlichen Kirche („Fight the men with cross that raped our souls...“). Welche Rolle spielt in Deiner Kunst der Archetyp des "Kriegers"?
Ich bin dem Image des Kriegers, besonders der Kriegerin oder Jägerin sehr angetan. Ich bin auch in einer Wikinger-Re-enactment-Gruppe; nicht, weil ich für die Jagd oder den Krieg bin, sondern weil ein Krieger im mythologischem Sinne ein starkes Individuum symbolisiert der/die für sein/ihr Recht kämpft, sich durchsetzt und andere verteidigt. In meinem Leben musste ich oft kämpfen, mich verteidigen; kämpfen, um an mein Ziel zu kommen. Und natürlich kämpfe ich für eine Ideologie. Auch würde ich nicht vor physischem Kampf zurückschrecken, um meine Tochter Alva zu verteidigen. Doch dies ist ein natürlicher Instinkt, den alle haben sollten.
Vor einigen Jahren noch warst Du sehr befasst mit einer Weltsicht, die man grob als ‘satanistisch‘ bezeichnen könnte, wobei Du selbst betonst, dass es dabei darum gehe, in ‘Satan‘ ein philosophisches, ambivalentes Prinzip zu entdecken, das ein Leben in Balance ermöglichen kann. Ähnliche Ansätze finden sich auch in deinem Buch Die alten Feuer von Migard. Siehst Du einen wesentlichen Unterschied zwischen Deinem Satanismus von einst und dem nordischen Schamanismus?
Wie ich in meinem Buch erwähne, ist die Figur des Satans eigentlich eine positive Figur. Er symbolisiert die natürlichen Instinkte und das freie Denken des Menschen. Er ist ein Rebell, der sich dem faschistischen Regime des ‘Einzigen Gottes‘ widersetzt. Im Christentum gilt die Haltung als ketzerisch oder „böse“. Auch ist Satan eine dämonisierte christliche Version der heidnischen Wald- und Naturgötter. Deswegen mag ich diese Figur. Sogenannte 'moderne Satanisten' gehen gegen diese christliche Dämonisierung an. Sie sind sich ihren natürlichen Instinkte bewusst und haben die gleiche Lebensauffassung wie Heiden, das Leben voll auszuleben, die sogenannten dunklen Aspekte des Lebens zu erforschen und damit umzugehen anstelle es zu verneinen. Dennoch bin ich nicht so von dem Namen „Satanismus“ begeistert, da er ein Teil des Christentums ist und somit die christliche Ideologie am Leben hält. Ich halte es am besten, das Christentum ganz hinter sich zu lassen.
C.G. Jung schrieb ja: „Wenn die Menschen aber dazu erzogen werden, die Schattenseite ihrer eigenen Natur zu sehen, so ist zu hoffen, dass sie auf diesem Wege auch ihre Mitmenschen besser verstehen und lieben lernen.“ -– Würdest Du Deinen eigenen Ansatz eines nichtpatriarchalischen Glaubenssystems als feministisch bezeichnen?
Das Weibliche spielte eine große Rolle in den heidnischen Kulturen und war wohl sehr anerkannt. Das Unterbewusstsein, das Ungesehene, das Mystische und Magische wurden als weiblich angesehen. Die Weisheit selbst ist in fast allen Mythen weiblich. Die erste Gottform war die Mutter, die Göttin, die das Leben gibt und die das Leben nimmt. Das individuelle Schicksal der Menschen und auch der Götter, so glaubte man, sei von einer weiblichen Kraft bestimmt. Doch man kann in den Mythen ganz eindeutig erkennen, dass das Weibliche und das Männliche miteinander harmonieren und sich ergänzen. Das heißt, beider Werte sind anerkannt und geschätzt. Durch die Mythen kann jeder Mann und jede Frau sich selbst erkennen, und sich mit den Göttern und Göttinnen identifizieren.
Die Hinwendung zu weitgehend akustisch erzeugter Musik, wie sie auch Hagalaz Runedance präsentiert, wirkt fast wie ein reaktionärer Impuls angesichts der umfassenden Technifizierung populärer Musik. Wie ist Dein Verhältnis zu aktueller Popmusik und wie würdest Du die Position von ritueller und neofolkloristischer Musik in der internationalen Musikszene verorten?
Für mich sind die akustischen Folk- und Mittelalter-Instrumente (Akustikgitarre, Drehleier etc.), die ich benutze, sehr wichtig. Ich liebe den Klang von alten Instrumenten und schaffe so eine Verbindung zur Vergangenheit. Instrumente wie die Lyre werde schon in den Mythen erwähnt. Meine Musik ist eine Reise zwischen Welten, alten und neuen, daher benutze ich auch moderne Instrumente. Ich selbst würde meine Musik als 'progressiven Folk' bezeichnen. Heidentum und Musik bieten für mich dasselbe: spirituelle Freiheit und magische Kreativität.
Ist ein heidnische Lebensart mit fortschreitender kultureller und wirtschaftlicher Globalisierung vereinbar?
Ich würde sogar sagen, dass es mehr und mehr notwendig wird, sich an seiner Wurzeln zu erinnern, umweltbezogener zu denken und mehr ökologisch verträgliche Mittel einzusetzen, um unsere Erde wieder in Balance zu bringen.
Zum Abschluss: Würdest Du Dir wünschen, dass Du mit Deinem künstlerischen Werk Menschen beeinflusst, und dass die Akzeptanz nordischer Spiritualität sich weiter verbreitet?
Ich habe schon so einige Individen mit meinen Worten und meiner Musik beeinflusst. Ich habe sie inspiriert, in sich zu gehen und sich selbst zu finden. Und es wäre schön, wenn es allgemein bekannt würde, dass die von den Christen verfolgten Heiden keine 'bösen Barbaren' waren, sondern dass sie ein viel besseres und natürliches Verhältnis zwischen den Geschlechtern kultivierten, dass Magie etwas Natürliches ist und dass viele heidnische Traditionen immer noch unbewusst praktiziert werden...

Vielen Dank für dieses Gespräch und alles Gute für Dich, Deine Familie und Deine zukünftige Arbeit mit Hagalaz Runedance.
Das Gespräch führte Maria Nicoli.

 Veröffentlichungen von Andrea Haugen:

Hagalaz‘ Runedance: When the Trees were silenced (7 inch, Elfenblut 1996) – The Winds that Sang of Midgard’s Fate (CD, Elfenblut 1998) – Urd – That Which Was... (MCD, Well of Urd 1999) – Volven (CD Well of Urd 2000) – Frigga’s Web (Hammerheart 2001)
Buch: Die alten Feuer von Midgard, Berlin: Second Sight Books 2001, ISBN 3-935684-01-0

Am Brunnen vor dem Tore - The Well by the Gate



I shot this picture in 2012 and associate a German folksong, written by Wilhelm Muller (1794-1827), with this picture.

Am Brunnen vor dem Tore (The Well by the Gate)

(In German)

Am Brunnen vor dem Tore
Da steht ein Lindenbaum
Ich träumt in seinem Schatten
So manchen süssen Traum
Ich schnitt in seine Rinde
So manches liebe Wort
Es zog in Freud und Leide
(Zu ihm mich immer fort)

Ich musst auch heute wandern
Vorbeei in tiefer Nacht
Da hab ich noch im Dunkel
Die Äuglein zugemacht
Und seine Zweige rauschten
Als riefen sie mir zu
Komm her zu mir Geselle
(Hier findst du deine Ruh)

Die kalten Winde bliesen
Mir grad ins Angesicht
Der Hut flog mir vom Kopfe
Ich wendete mich nicht
Nun bin ich manche Stunde
Entfernt von jenem Ort
Und immer hör' ich's rauschen
(Du fändest Ruhe dort)

(In English)

Beside the Village Fountain,
There stands a linden-tree.
How often in her shadow
Sweet dreams have come to me!
Upon her bark, there, carving,
Designs of love I made.
Both, happiness and sorrow,
Would draw me to her shade,
Would draw me to her shade.

Alas! I had to wander,
Before the dawn's first light.
I passed her, in the darkness,
Which hid her from my sight.
Her branches rustled gently,
As if she spoke to me,
"Come here, beloved companion!
Here, peace shall comfort thee,
Here, peace shall comfort thee."

The cruel winds were blowing
Cold rain into my face.
My anguished heart was crying,
While I increased my pace.
Though many miles, now, distant from
That dear old linden-tree,
My mind still hears her promise:
"Here, peace you'll find with me!
Here, peace you'll find with me!"

My Facebookgroup *click* 

ENTREMURALHAS (Portugal) 28/29/30 August 2014



Castelo de Leiria, Leiria/Portugal, 30. August 2014, 21:00 Uhr, Palco Alma

mit Hocico, O.Children, The Legendary Pink Dots, She Past Away und Allerseelen 


Nichts Neues unter der Sonne? Einige Fragen an Anthony Charles Wakeford von der Gruppe Sol Invictus 1995

Hail Folkers,

im Jahre 1995 fand ein Interview mit Anthony Charles Wakeford (Sol Invictus) statt, welches so in der Form nicht veröffentlicht wurde.Ich habe mir dieses aus dem Ikonenmagazin entliehen, wo das Interview dennoch veröffentlicht wurde.Ich stelle es hier ein, damit alle einen Zugang haben, denn meine Seite ist schon recht gut besucht.

 Die 1988 mit der Mini-LP „Against The Modern World“ aus der Taufe gehobene Band Sol Invictus war ursprünglich für den rauhesten Folk-Sound der Neofolk-Bands aus dem Londoner World-Serpent-Label-Umfeld bekannt, entwickelte sich mittlerweile jedoch in die Bereiche neoklassischer Musik. Gegründet von dem einflußreichen Chaos-Magier Ian Read und dem Death-in-June-Aussteiger Tony Wakeford, benannte man sich nach der persischen Sonnengottheit Mithras („Die unbesiegte Sonne“) und verlieh sich gleich zu Beginn einen mythisch-aggressiven Anstrich. Der Debüt-Titel ist einem esoterischen Buch des rechtsintellektuellen Italieners Julius Evola entnommen, der in „Revolte gegen die moderne Welt“ eine neue „monarchistische Elite“ formulieren und heraufbeschwören will.

 Wakeford distanziert sich heute explizit von diesem literarischen Bezug und möchte den Titel lieber allgemeiner verstanden wissen. In späteren Interviews betont er zudem, das besagte Buch habe erst Jahre später in einer englischen Übersetzung vorgelegen, so dass er ohnehin nur den Titel kannte.

 Während die ersten drei Alben unter dem deutlichen Einfluß von Ian Read standen, der auch häufig selbst sang, wurde Sol Invictus schließlich - nach Reads Abschied - zu Tony Wakefords persönlichem Projekt. - Dominierten auf den ersten Werken „Against...“ und „In The Jaws Of The Serpent“ noch hart geschlagene Akustikriffs und markige Texte, traten auf „Lex Talionis“ auch sanfte Klavierakkorde und zwischenmenschliche Themen („Abattoirs of Love“) in den Vordergrund. Viele der Texte sind durchaus ironisch gemeint und fanden eher aufgrund von Mißverständnissen ihren Weg in die Gothic-Szene: „Black Easter“ will weniger dem Satanismus zum Sieg verhelfen, sondern reflektiert die okkulten Klischees klassischer britischer Horrorfilme wie Jacques Tourneurs CURSE OF THE DEMON, einer Verfilmung des Romans "Casting the Runes" (aus der auch das Anfangssample stammt). Etwas ernster sind Wakeford die sehr verhaltenen Kommentare zur Zeitgeschichte:

 In „Fields“ beschreibt er auf bewegende Weise die Begegnung mit einer Zeugin der Bombardierung Dresdens mit dem Fazit „No more wars amongst Brothers!“ Wakeford betont häufig sein „eurozentrisches“ Weltbild, ein idealistisches Konstrukt, das mehr mit der Sehnsucht nach der "verlorenen Identität" zu tun habe als mit passioniertem Rassismus, wie es einige seiner Gegner gerne sehen möchten (so seine Ehefrau Renée Rosen Wakeford in den Linernotes einer Orchestr Noir-CD).

 Stärker als seine Kollegen bezieht sich Sol Invictus auch im Coverartwork auf „archaische“ und heidnische Symbole, die ebenfalls als Monumente für die Sehnsucht nach vergangenen Idealen stehen: der Wolf, der Rabe, die Sonne, der Mond, das Schwert, die Rose, die Esche. Diese allesamt mit der „Edda“ verknüpften Elemente tauchen immer wieder in Wort und Bild auf. Erst mit der Hinwendung zur neoklassisch-orchestralen Musik, die Wakeford 1995 mit „In The Rain“ vollzog, trat eine eher fatalistisch-melancholische Weltsicht in den Vordergrund, die von dem englischen Künstler Tor Lundvall in bestechend-naive Bilder umgesetzt wurde. Möglicherweise entweicht mit den archaischen Metaphern jedoch auch die „Wucht“ der Musik. Die schwindende Popularität gerade von Sol Invictus in den letzten Jahren - bedingt u.a. durch inflationär häufige Live-Auftritte - scheint dafür zu sprechen. Wakeford ist jedoch nicht unterzukriegen: Er erweiterte seine Aktivität auf die Produktion von Nachwuchsbands aus dem neoklassischen Umfeld (Algiz aus Frankreich) und bringt die kulturanalytische Zeitschrift ON (the world and everything in it) heraus (heute: SOL).

 Tony, bitte beschreibe die konkrete Idee und Motivation, die hinter dem von Dir herausgegebenen aber leider nur einmal erschienen ON-Magazin steckt

 Die Idee ist - wie der Titel besagt - ein thematisch sehr weit gefaßtes Magazin zu erschaffen. Die (post)moderne Kultur wird scheinbar zunehmend homogen und berechenbar. Wir hoffen, in diesem Magazin treffen sich Sichtweisen, die außerhalb des neuen Zeitgeistes existitieren. Mark Denton, mein Mitherausgeber, und ich hoffen, die Leser folgen uns bei diesen Interessen. Wir hoffen auch, demnächst ein vom Produktionsstandrad her weniger aufwendiges Magazin regelmäßig herausgeben zu können, das einige Artikel des FLUX Internet-Magazins veröffentlicht, in das ich involviert bin.

 Hast Du selbst die Bands auf der ON-Compilation ausgewählt?

 Ja, das ist eine Mixtur von Freunden und eingeschickten Tapes. Ich hatte gehofft, es handelte sich nur um unveröffentlichtes Material, doch einige Songs scheinen anderswo erhältlich zu sein, was mir sehr peinlich ist. Da das Magazin sehr lange brauchte, um zu erscheinen, kann ich das Problem verstehen. Ein Magazin erscheint gemäß dem langsamsten Mitarbeiter - und das ist in der Tat langsam. Insgesamt glaube ich, die CD funktioniert gut. Ich bin zwar kein Fan von Compilations, aber ich glaube, sie ist gut hörbar. Da sie 80 Minuten enthält, ist sicher für jeden etwas dabei. Ich freue mich darüber, das die bisherigen Kritiken sehr positiv waren.

Glaubst Du, Du wirst jemals wieder mit David Tibet, Douglas P. oder Ian Read zusammenarbeiten?

Ich bin in Kontakt mit Tibet und Douglas und obwohl es unwahrscheinlich klingt, sind merkwürdige Dinge im Gange... Ich habe keinen Kontakt zu Ian Read.

Wirst Du Deine neoklassische Entwicklung wie sie auf CUPID AND DEATH zu hören ist weiter entwickeln?

 Das ORCHESTRE NOIR Projekt wird das Ventil für jede Menge neoklassischer Kompositionen sein, ich denke jedoch, auch meine andere Musik wird davon beeinflußt werden. Ich mag diese Richtung, auch wenn es sonst niemand tut.

Warst Du jemals derart in praktische Magie verwickelt, wie es Ian Read noch immer ist?

Ja 

Bist Du noch immer von einer Idee der 'Vereinigten Staaten von Europa' fasziniert oder ist "Black Europe" (Titel eines Sol-Invictus-Bootlegs) das zynische Programm des Tages? 

Ich glaube, fasziniert ist nicht das richtige Wort. Ich finde die Idee eines amerikanischen Konzeptes diesbezüglich deprimierend. Mich interessieren die organischen Kulturen Europas, nicht die staatlichen Fallen eines ökonomischen Nationalismus’. Das neue Europa scheint ein rein ökonomischer Zwang zu sein, gefangen im Weltmarkt und auf dem Weg zu noch mehr Zentralisierung... Es gibt nichts Neues unter der Sonne.

Die Instrumentals auf CUPID AND DEATH scheinen von klassischer Filmmusik inspiriert zu sein. Statt dessen wich etwas der pathetische und mystische Ton der früheren Werke. Interessiert Dich das ‘deep listening’-Konzept des Inner Cinema?


Die Instrumentals sind eine respektvolle Verbeugung vor einigen kulturellen Ikonen, die das Los auf Erden erträglicher machen, z.B. John Barry, das film noir-Genre und die Filme von Luis Bunuel.

Hast Du selbst das alte ABOVE THE RUINS Material herausgebracht? Bitte erzähle etwas über dieses Projekt, mit dem Du scheinbar nicht sonderlich glücklich bist...

 Die CD ist in Ordnung, denke ich, aber ich bin Unglücklich mit der Art und Weise, wie sie herausgebracht wurde. Mit den Vinyl-Veröffentlichungen stehe ich nicht in Verbindung. Lieber würde ich über gegenwärtige Vorhaben sprechen; jenen Teil meiner Vergangenheit sehe ich als ein fremdes Land, eines das ich selbst im Urlaub nicht besuchen würde...

Douglas P. erzählte in einem Interview 1994, Du wärst gegen eine Veröffentlichung alter CRISIS-Punk-Songs (Wakefords und Pearce' frühere Band). Stimmt das?

Möglich. Wir beide hatten Möglichkeiten, altes Material wiederzuveröffentlichen. Es wird schließlich im Frühjahr 1997 als Doppel-CD herauskommen. Ich und ich denke auch Douglas sind sehr zwiespältig, was das betrifft. Zum Archivieren wäre es gut, die Sachen herauszubringen, aber ich sehe die ganze Periode eher negativ. Es gibt eine Menge alter Geister, die dadurch hoffentlich endlich Ruhe finden werden.

Bekommst Du noch immer Post aus aller Welt?

 Ich bekomme noch immer Briefe und versuche sie zu beantworten, vor allem wenn sie interessant sind. Es ist heute jedoch schwierig, da ich seltener in England bin.

 Einige World-Serpent-Gruppen wie DEATH IN JUNE und THE MOON LAY HIDDEN scheinen vom Balkan-Krieg besessen zu sein. Auf SOL-INVICTUS-Platten sucht man konkrete, zeitbezogene Kommentare jedoch vergeblich. Ist das außerhalb Deines Interesses?

 Ich scheu zurück vor politischen Kommentaren und Handlungen, hauptsächlich, weil meine Vergangenheit davon durchzogen und in vielerlei Hinsicht verschwendet ist. Das betrifft nur meine Position und ist nicht kritisch gemeint. Ich denke, die Weise, in der Douglas die kroatische Bevölkerung finanziell Unterstützt, ist bewundernswert.

 Ein Stück von Dir ist auf dem BLUTFEUER-Sampler. Fühlst Du Dich wohl zwischen BLOOD AXIS und ALLERSEELEN? „Hedda Gabler“ klingt sehr ironisch in diese Kontext!?

 Ich habe kein Problem, auf dieser CD zu erscheinen. Ich bin für sie so wenig verantwortlich wie sie für mich. Zur Ironie: die gibt es viel zu wenig heutzutage. Es kommt auf das Ohr des Betrachters an...

 Was denkst Du über die Tendenz einiger Gothic-Avantgarde-Magazine, punktuell zum Medium für konservative politische Tendenzen zu werden?

 Um ehrlich zu sein, ich wußte nicht, daß das der Fall ist. Ich spreche und lese leider sehr schlecht Deutsch, so ist mein Verständnis eingeschränkt. Die politische Einstellung anderer betrifft mich jedoch kaum. Ich nehme sie mit einer Prise Salz... Ich wurde der selben Dinge beschuldigt in der Vergangenheit und finde die Ankläger ebenso suspekt. Sie sind oft ebenso extrem wie ihre Feinbilder. Ich denke Deutschland ist für derartige Dinge sehr anfällig und gleichzeitig paranoid. Das ist historisch einsehbar, Hexenjagd ist jedochvon rechts und von links ein wenig reizvolles Konzept. Vielleicht ist das naiv, aber ich lasse mich nicht für die Meinung anderer Leute verantwortlich machen.

 Was ist das ORCHESTRE NOIR im Gegensatz zu SOL INVICTUS?

 Es ist ein Medium für thematische und filmische Kompositionen. Ich hoffe, es ist künftig möglich, dieses Projekt zu vergrößern und das Repertoir zu erweitern. Ich würde gerne für Filmsoundtracks arbeiten und hoffe, dies ist ein Schritt in diese Richtung. Jetzt warte ich, daß Hollywood an meine Tür klopft. Bis dann...ORCHESTRE NOIR!

Vielen Dank für deine Geduld und alles Gute.
Das Interview führte Maria Nicoli. Überarbeitet und ergänzt 2004 und 2005.